Nachhaltigkeit und Umweltschutz in der Handelsbranche
Martina Becker ist Direktorin und Mitglied der Praxisgruppe Konsumgüter und Handel bei der Managementberatung Atreus. Im nachfolgenden Beitrag beschreibt sie, wie insbesondere die Handelsbranche mithilfe von Technologie den Wunsch der Konsumenten umsetzen kann.
Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Mega-Trend, sondern die Basis für eine intakte Umwelt und eine gute Lebensqualität für kommende Generationen. Der verantwortungsvolle Umgang mit den natürlichen Ressourcen und die Eindämmung des Klimawandels geht alle Marktbeteiligten etwas an. Angefangen vom nachhaltigen Konsum des Verbrauchers, der mit seinen Kaufentscheidungen bestimmt, was dauerhaft im Regal bleibt, ausgehend von der Produktherstellung und der Rohstoffbeschaffung bis zum Sortimentsangebot des Handels. Nachhaltigkeit meint das gleichzeitige Vorantreiben von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Daher hängt langfristig erfolgreiches wirtschaften und künftiger Wohlstand sowohl von der Verringerung von Treibhausgasen als auch vom Einhalten von Menschenrechten entlang der Lieferkette ab.
Transparenz über die eigene Lieferkette zu schaffen, digitale Lösungen für mehr Effizienz zu nutzen und die Risiken zu kennen, ist Voraussetzung, um Verbesserungspotentiale zu identifizieren und notwendige Innovationen zu entwickeln. Hierbei ist ein gutes Zusammenspiel von Handel und Lieferant entscheidend, um ein Maximum an Transparenz dem Verbraucher gegenüber darstellen zu können. Rein technologisch ist die Information über Herkunft, den CO2-Fußabdruck, Inhaltsstoffe und weitere relevante Produktinformationen sowohl auf dem Produkt als auch im Laden als Information transparent darstellbar. Hier bedarf es allerdings meistenteils noch der Investition sowohl auf Hersteller- als auch auf Händlerseite in die notwendige Lieferketten-Digitalisierung und der damit verbundenen erforderlichen Echtzeitdaten über das gesamte Beziehungsnetzwerk.
Das Potential der Blockchain-Technologie im Handel
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten – tritt am 1.1.2023 in Kraft. Es verpflichtet branchenunabhängig deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in ihren Lieferketten Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen zu verhindern. Das hat zur Folge, dass Unternehmen, die bis dahin wenig Transparenz in ihren Lieferketten haben, Gefahr laufen, ihre Sorgfaltsplichten zu verletzten. Auf der anderen Seite birgt dies eine große Chance für Unternehmen, sich schnellstmöglich mit neuer Technologie darauf auszurichten und Verbesserungen als innovativen Wettbewerbsvorteil herauszustellen. Als Beispiel sei hier die Anwendung der Blockchain-Technologie genannt, die eine direkte Rückverfolgbarkeit der gesamten Lieferkette ermöglicht. Mit der Blockchain lassen sich die einzelnen Produktionsschritte von der ersten Stufe – wie zum Beispiel das Ernten von Baumwolle oder Kaffeebohnen – über die Verarbeitung bis hin zum Verkauf über eine Art dezentrales öffentliches Buchhaltungssystem dokumentieren. Hier wird über die Transparenz der Daten schnell klar, wo das Kleidungsstück oder der Kaffee herkommen, wo und unter welchen Bedingungen es verarbeitet wurde.
Innovation fängt im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit dort an, wenn freiwillig nachhaltige Maßnahmen umgesetzt werden und nicht erst, wenn Gesetze es fordern. Hersteller und Händler tragen gemeinsam die Verantwortung, die Transparenz im Sinne der Nachhaltigkeit herzustellen und stetig an Verbesserungen zu arbeiten: Nur wenn Verbraucher aus einem nachhaltigen Warenangebot, etwa durch den Einsatz von weniger Plastik beziehungsweise mit einem geringen CO2-Fußabdruck hergestellt, auswählen kann, lässt sich eine bewusste Kaufentscheidung treffen. Nur wenn proaktiv an der Verbesserung einer Kreislaufwirtschaft von allen Marktbeteiligten gearbeitet wird, lassen sich Abfälle auf ein Minimum reduzieren und Treibhausgasemissionen senken. Es geht also darum, bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich zu teilen, leasen, wiederzuverwerten, zu reparieren, aufzuarbeiten und zu recyceln. Schon allein aus dem Modell der Kreislaufwirtschaft lassen sich neue innovative Angebote und Geschäftsmodelle entwickeln.
Führungskräfte und Belegschaft müssen in die Transformationsziele und Veränderungsprozesse einbezogen werden, um die Bereitschaft zum Wandel zu erzeugen. Demzufolge müssen Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugt werden. Schnelle Veränderung funktioniert nur durch ein frühzeitiges und vorausschauendes Change-Management. Einfacher ist es oftmals, wenn durch eine externe und professionelle Unterstützung, beispielsweise in Form eines erfahrenen Change Leaders bzw. Managers, die Transformation hin zu einem nachhaltigen Unternehmen geführt oder begleitet wird. Das Thema mehr Nachhaltigkeit durch die gesamte Lieferkette eignet sich ideal, weil es in den nächsten Jahren weiter an Relevanz gewinnt und jeder Einzelne an einer guten Lebensqualität per se interessiert ist, die Auswirkungen des Klimawandels kennt und viele ihren Beitrag mit bewussten Kaufentscheidungen dazu leisten möchten.
Transparenz, Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind die Schlüsselbegriffe, um mit Nachhaltigkeit bei den Kunden Erfolg zu haben. Bei der Vielzahl unterschiedlichster Produkte und zig Marken fällt es Konsumenten oft schwer zu beurteilen, wie nachhaltig ein Produkt beziehungsweise das Angebot einer Einkaufsstätte oder eines Online-Shops wirklich ist. Nur wer auf maximale Transparenz setzt, ist für Kunden glaubwürdig und kann sie an sich binden:
- Warum nicht heute schon über den CO2-Fußabdruck der Produkte und Services informieren?
- Warum nicht heute schon Maßnahmen initiieren, die Abfall und Energieverbrauch senken?
- Warum nicht heute schon mehr Wertschöpfung in den Ländern schaffen, wo der Rohstoff herkommt, in dem die Produkte dort menschenwürdig verarbeitet werden, wo sie geerntet oder hergestellt werden?
- Warum nicht heute schon über Produkte und Dienstleistungen und Nachhaltigkeits-Maßnahmen für eine transparente, nachhaltige Lieferkette informieren, die vom Kunden auf dem Etikett oder per QR-Code eingesehen werden kann?
Es geht darum, offen über nachhaltige Initiativen und Maßnahmen zu kommunizieren und dass man die Entwicklung der Nachhaltigkeitsanstrengungen über die Jahre transparent macht. Transparenz und Glaubwürdigkeit schafft Vertrauen und daher Kundenbindung.
Megatrends in der Handelsbranche
Neben dem wichtigen Megatrend Nachhaltigkeit sind Omnichannel-Retailing und als jeweiliger Enabler die Digitalisierung die entscheidenden drei Megatrends und Erfolgsfaktoren für die Handels- als auch Konsumgüterbranche. Bei der Konsumgüterbranche kommt noch das Direct-to-Consumer-Geschäft hinzu, weil immer mehr Hersteller auch die direkte Absatzmöglichkeit über den eigenen Onlineshop oder E-Commerce Marktplatz-Anbindungen für sich erkennen und nutzen.
Kunden erwarten ein nahtloses und intuitives Einkaufserlebnis. Sie nutzen beim Einkaufen nicht nur einen Kanal. Auf der Website, der mobilen App, auf dem Tablet oder vor Ort im Geschäft informieren sie sich über Produkte, bestellen via Smartphone und holen die Ware im Geschäft ab. Ein modernes Omnichannel-Management mit reibungslosen Features wie Ship-from-Store oder Click & Collect ist eine Lösung, den steigenden Kundenanforderungen für ein durchgängiges Customer-Touchpoint-Management gerecht zu werden.
Kundenerlebnisse können dann optimiert werden, wenn alle verfügbaren Daten des Kunden gesammelt und zentralisiert werden. So lassen sich Interaktionen mit dem Kunden ermöglichen, Trends und Bedürfnisse schneller erkennen und die Ansprache an bestimmte Kundenzielgruppen für das digitale Marketing personalisieren.
Ziel ist für eine einzigartige Customer-Experience in dem immer kürzeren Aufmerksamkeitsfenster der Kunden – in Echtzeit – Impulse und Antworten zu geben. Dies auch noch unter optimierter Kosteneffizienz sicherstellen zu können, erfordert eine digitale Transformation und ein radikales Umdenken, wie eine Organisation Technologie, Menschen und Prozesse einsetzt.
Erfolgreiches Change-Management setzt erstens Offenheit im Umgang mit Veränderungen voraus. Transparenz darüber, wo ein Unternehmen steht, welche Herausforderungen es gibt und was die Ziele und Wege sind, mit einer Krise umzugehen, haben Führungskräfte nicht zuletzt durch die Corona-Krise lernen müssen. Durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine werden die ohnehin angespannten Lieferketten noch weitreichender gestört.
Daher ist zweitens ein Antizipieren der Situation, das heißt die proaktive Beobachtung der Umwelt sowie des eigenen Unternehmens im Hinblick auf Veränderung innerhalb und außerhalb der eigenen Branche wichtiger als je zuvor. Drittes ist die Entscheidungsfähigkeit, das Ausbalancieren von kurz- und langfristigen Daten und Werten unter Einbezug alternativer Optionen, ein strategischer Erfolgsfaktor. Und last but not least ist die Lernfähigkeit wichtig, das heißt, das kontinuierliche Reflektieren vergangener Erfolge und Misserfolge, um die Leistung und Entscheidungsfindung zu verbessern.